Die Rote Zora gewinnt

Tomatengenuss – Wie aus einer unscheinbaren kleinen Pflanze ein nachhaltiges Ernährungskonzept wurde.

Die Tomate Rote Zora zählt zu den ertragreichen Sorten.

Meine Unabhängigkeit von der Tomatenindustrie

Recht gutgelaunt und blauäugig pflanzte ich im Mai meine aus Samen selbst gezogene Flaschentomate „Rote Zora“, sowohl in unser Gewächshaus (vier Pflanzen) als auch in zwei Beete im Freiland (insgesamt 9 Pflanzen). Zu diesem Zeitpunkt waren sie klein, blassgrün, langstielig und eher schwach auf der Brust. Was dann daraus wurde, übertraf meine kühnsten Vorstellungen bei Weitem.

Ich hätte es mir ja denken können beim Anblick des Namens. Rote Zora. Ein Versprechen auf rote süße freche Früchte und Pflanzen, die sich unbändig ihren Weg suchen und vor Vitalität nur so strotzen. Ganz so wie das literarische Vorbild von Kurt Held, der sein Kinderbuch 1941 unter dem gleichen Titel veröffentlichte. Aber was weiß ich denn schon von taffen Mädels, die sich gegen alle Unbilden auf der Straße behaupten müssen, um zu überleben…

Tomate Rote Zora im Gemüsegarten.
Vor der Stallwand entwickelte sich meine Rote Zora (links) prächtig.

Mit und ohne Pferdemist

Holzspäne, Heumulch oder Pferdemist, egal worauf die Rote Zora gestellt wurde, sie machte ihr Ding.

Die Tomate wuchs zunächst langsam aber stetig. Ich gab ihr ab und zu ein wenig Pferdegülle und Brennnesseljauche. Auch einen Magnesium-Schwefel-Dünger setzte ich vorbeugend gegen Magnesium-Mangel ein. Auf einen vielerorts empfohlenen Kaliumdünger verzichtete ich hingegen. Die Tage wurden länger, die Temperaturen stiegen drastisch und meine „Rote Zora“ kam an. Soll heißen: sie startete durch, aber richtig. Und zwar sowohl im Gewächshaus als auch im Freien. Da gab es fast keinen Unterschied. Von Tag zu Tag legte sie zu, die Blätter wurden groß und größer und deutlich grüner. So lange Blätter hatte ich bei einer Tomate noch nie gesehen. Die Blütephase kam erst etwas zögerlich, doch dann immer intensiver. Schon bald zeigte sie erste hellgrüne Fruchtansätze und ich freute mich schon auf ein paar leckere Tomaten für den Salat oder vielleicht auch mal für eine Tomatensauce.

Tomate Rote Zora im Gewächshaus
Schnell stieß die Rote Zora im Gewächshaus an die Decke.

An Bändern und Holzstecken

Mittlerweile musste ich die Lady mit kleinen Bändern an der Dachrinne und an Stützstäben befestigen. Im Gewächshaus wurde sie auch an die Dachkonstruktion angebunden. Und sie wuchs immer weiter. Bald schon erreichte sie draußen die Dachrinne und drinnen die Dachplane. Pro Pflanze musste ich mindestens 20 Stützbänder einsetzen. Ich muss dazu sagen, dass ich sie nicht ausgegeizt habe, nicht beschnitten und nicht erzogen habe. Ich ließ sie wachsen wie sie wollte und stützte ihre Ausläufer weiter ab. Das halbe Gewächshaus war schon nach zehn Wochen von der Roten Zora ausgefüllt. Draußen sprengte sie längst die für sie vorgesehene Beetfläche, wuchs auf den Weg, ließ sich in Nachbarbeete fallen, um die dortigen Pflanzen zu erdrücken und zeigte keinerlei Schwächen. Ab Anfang August wurden die ersten Früchte himbeerfarben. Das ist sortentypisch und ich fand, meine Rote Zora machte das prima. Beim ersten Naschen war ich allerdings etwas enttäuscht wie farblos ihr Geschmack war, zumindest im Vergleich zu meinen selbst vermehrten und gezogenen Cocktailtomaten. Aber man kann eine Salattomate auch nicht unbedingt mit einer Cocktailtomate vergleichen. Vielleicht, so dachte ich, schmeckt die Rote Zora warm ja besser. Volltreffer!

Warm entfaltet sie ein fantastisches Aroma

Als ich die ersten Versuche am Herd startete und sie meine Spaghetti erstmalig umgarnte, war es um mich geschehen. Das war es: die Rote Zora war bestens geeignet für Pizzasaucen, Ketchup und Nudelsaucen.

Tomaten, Chilis und Basilikum ergeben eine leckere selbstgemachte Sauce.
Zusammen mit Chilis, Basilikum und Cocktail-Tomaten wurde aus der Roten Zora Sauce für Nudeln und Pizza oder Aufläufe.

Die Ernte stieg nun an. Fast jeden Tag kam ich mit einem Korb voller Früchte in die Küche und hatte eine Aufgabe vor mir, die Lady irgendwie zu konservieren. Mal landete sie mit Basilikum und Chilis im Glas, mal pur ohne alles, mal mit Auberginen, mal steckte ich sie in meine Dörte. Während die Rote Zora immer weiter wuchs, füllten sich Glas um Glas. Natürlich hatte ich schon längst Saatgut gewonnen von den reifsten Früchten, denn es war schnell klar, dass ich die Rote Zora für mich weiter vermehren werde und in meinem Garten behalten werde. Ich war geradezu verliebt in diese wüchsige Pflanze.

Gewichtsprobleme

Ab September wurde die Lady dann schwer, zu schwer. Das Gewicht der unreifen Früchte nahm bedrohliche Züge an. Erste Bänder rissen, die Pflanzen sackten in sich zusammen und bildeten undurchdringliche grüne Blätter- und Stengelgewölle. Die Suche nach reifen Früchten gestaltete sich als turnerischer Akt, bei dem ich versuchte hinter die Pflanzen zu kommen oder auch darunter. Trotz des Zusammenbruchs, der drinnen und draußen fast gleichzeitig passierte, trieb sie weiter aus, blühte, und wollte Früchte ansetzen. Ab Mitte September habe ich dann angefangen die Nebentriebe auszugeizen und die Spitzen zu kappen, damit sie sich auf die große Menge der unreifen Früchte konzentriert, die noch an den Pflanzen hingen. Immer noch holte ich jeden Tag mindestens 10 Tomaten rein. Viele aßen wir sofort, aber die größte Menge landete in Gläsern. Bis Mitte Oktober konnte ich rote Früchte ernten. Dann wurde es schwieriger, sie mussten teilweise nachreifen, wegen fehlender Sonneneinstrahlung. Der zunehmende Regen sorgte für die Braunfäule, gegen die sie lange resistent zu sein schien. Anfang November war es dann endgültig vorbei. Die erste Frostnacht ließ die Rote Zora traurig zurück. Die Blätter hingen schlapp herunter, die grünen Früchte zeigten braune Flecken. Schluss mit lustig.

Heiße Tomatensauce wird in vorbereitete Gläser gefüllt.
Viele Gläser wurden mit meiner leckeren selbst gemachten Tomatensauce befüllt.

Für mich bedeutet die Rote Zora, die komplette Unabhängigkeit von der Tomatenindustrie. Die Italiener mögen es mir verzeihen. Wobei viele der hiesigen Dosentomaten ohnehin nicht aus Südeuropa kommen, sondern auf chinesischen Feldern unter sehr fragwürdigen Arbeitsbedingungen angebaut und geerntet werden. Selbst Bioprodukte genießen dort deutlich mehr Spritzmittel als im europäischen Biostandard festgelegt. Wo kein Kläger da kein Richter, Kontrollen finden fast keine statt. Nach einer Fernsehdokumentation vor ein paar Jahren, war mir die Tomatenproduktion ein Dorn im Auge. Allerdings sah ich noch keine Möglichkeit, mich der Sache zu entziehen.

Mit der Roten Zora hat sich das jetzt geändert!

Ich habe viel Ketchup in Gläsern, Tomatenmark in Tuben und passierte und ganze Tomaten in Tetrapacks und Dosen gekauft. Das kann ich jetzt einsparen. Die Rote Zora liefert mir schmackhafte Früchte in allerbester Qualität, ohne Pestizide, ohne Kunstdünger, ohne Verarbeitungsmaschinen, ohne Verpackung und Transport. Mehr Bio als meine Tomaten geht nicht, mehr vermiedene Verpackung (die Gläser musste ich nicht extra kaufen, ein Teil wurde mir geschenkt) als durch den Eigenanbau geht nicht. Sie werden im kommenden Jahr wieder eingesetzt, so lange bis die Deckel nicht mehr schließen oder die Gläser zerspringen.

Tomatensauce selber gemacht in Gläsern.
Mit unterschiedlichsten Tomatenmixturen wurden etliche Gläser befüllt.

Als ich die Rote Zora säte und sie sich nach 14 Tagen so mickrig auf der Fensterbank nach den ersten Sonnenstrahlen reckte, war mir die Tragweite ihres Daseins nicht bewusst. Mittlerweile bin ich ein echter Fan der Roten Zora geworden, sie hat mich mehr als positiv überrascht und sie hat mir eine ganz neue Welt eröffnet, an die ich mich vorher nicht herangetraut habe. Aber was für mich im Nachhinein betrachtet das Wichtigste ist: Ich habe erkannt, dass man mit wenigen Veränderungen im Leben eine ganz andere Basis für die eigene Ernährung schaffen kann. Und es hat sogar richtig Spaß gemacht.

Wer jetzt Lust auf die Rote Zora bekommen hat, der kann bei mir Saatgut bekommen und es nächstes Jahr selber probieren mit diesem vitalen freiheitsliebenden Mädel.

Autor: Beatrix Schulte

Fotografin, Künstlerin, Autorin. Die Fotografie und das Schreiben ist für mich nicht nur Beruf, sondern auch Berufung. Ich lebe seit 24 Jahren auf einem Resthof in der Gemeinde Stadland zusammen mit meinen Pferden, zwei Hunden und meinem Liebsten. Wir haben ein 28.000 m² großes naturnahes Grundstück, auf dem wir tagtäglich nachhaltig zu leben versuchen und auch den Wildtieren und Wildpflanzen um uns herum einen Raum zum Leben zu gönnen. Hier wird Permakultur mit Waldgartencharakter betrieben.

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